/ KITESURFEN

Die baltischen Staaten

Unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Ebenso unsere Reiselust. Nachdem wir mit der Fähre von Helsinki nach Tallinn übergesetzt hatten, suchcten wit uns erst einmal einen Kitespot. Ein langer Sandstrand war von einem Parkplatz aus im Nadelwald gut erreichbar. Es hatte ein wenig südländisches Flair, nur, dass es ein klitzekleines bisschen kälter wär. Da wir beide noch ein wenig müde vom Vortag waren, fiel die Session doch recht kurz aus, machte aber Spaß.

Unser nächstes Ziel war der Tagebau von Rummu. Bereits in den 1940er Jahren wurde hier Sandstein und Marmor abgebaut, hauptsächlich von Insassen des Gefängnisses von Murru. Mit Pumpen wurde der Grundwasserspiegel künstlich abgesenkt, um den Abbau zu ermöglichen. Als Estland 1991 unabhängig wurde, wurde das Gefängnis geschlossen und der Tagebau stillgelegt. Durch das Abschalten der Pumpen hob sich der Grundwasserspiegel wieder an und einige Gebäude versanken in der türkisfarbenen Lagune. Heute ist es ein touristisch angelegter Ort, der im Sommer zum Baden einlädt und sogar einen Kletterpark auf dem Wasser hat. Da wir außerhalb der Saison waren, standen wir zunächst vor einem verschlossenen Tor. Jedoch konnte man sich online ein Ticket kaufen und dann eine estnische Telefonnummer anrufen. Wie von geisterhand öffnete sich das Tor und ließ uns auf das Gelände. Ein litauischer Typ, in dessen Kombi ebenfalls eine Matratze lag, schloss sich uns an. Wir kletterten zuerst auf die Hochkippe und konnten von dort das Gelände überblicken. Teilweise waren die Gebäudeteile so knapp unter der Wasseroberfläche, dass wir sie noch erahnen konnten. Wachtürme, Stacheldraht, leerstehende Gebäudekomplexe und hohe Mauern zeugten von der Geschichte des Ortes. Eigentlich war kein Badewetter, aber ich zog mir meinen Neo an, schnappte mir die Tauchermaske und ging eine Runde schwimmen. Jedoch hatte der Neo so viel Auftrieb, dass ich nicht wirklich tauchen konnte.

Den folgenden Tag verbrachten wir in der Stadt. Wir passierten zunächst einen Stadtteil mit fancy “Streetfood”-Buden. Diese waren in unterschiedlichsten Farben und Formen gestaltet: Eine hatte sehr viele Pflanzen und das Thema Dschungel, eine war in einem alten Straßenbahnwaggon und eine in alten Zugwaggons. Wir gingen am Markt vorbei und liefen die Treppen hinauf auf den Domberg. Dort kamen wir in die Altstadt. Der mittelalterliche Stadtkern gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe, verdient, wie ich finde. Kleine Gässchen sind von runden Torbögen und alten Häusern gesäumt. Auf dem alten Kopfsteinpflaster wandernd, kann man kleine Läden entdecken oder in einem der Restaurants am Rathausplatz speisen.

Es waren wohl gerade einige Menschen einer Kreuzfahrt in der Stadt unterwegs, denn es wimmelte von Touristen mit Fremdenführern vor der Alexander-Newski-Kathedrale. Auf dem Rückweg kauften wir auf dem Markt noch Pfifferlinge, Blaubeeren und ein Glas Saure Gurken. Alles war sehr lecker!

Wir beschlossen, noch einen kleinen Schlenker nach Osten in Kauf zu nehmen. An einer Sandsteinküste wollten wir uns noch einen Wasserfall ansehen, der war wegen Bauarbeiten gerade trockengelegt. Über Treppen konnte man bequem bis zum Steinstrand hinunterlaufen. Wir hatten leider keine Aussicht auf die Küste, jedoch hatten sich hier auf Treibgut viele Steinmännchen angesammelt.

In Vivikonna konnten wir ein fast verlassenes Dorf erkunden. Das Örtchen war wegen der Industrie einst belebt gewesen, heute stehen hier viele verfallene Häuser. Hin und wieder ratterten Züge vorbei, denn dort kommen drei Güterstrecken zusammen. Die Blicke der verbleibenden Dorfbewohner waren nicht gerade freundlich und so ergab das eine komische Stimmung. Auch entdeckten wir an den Häusern, die im Grunde noch in Takt waren, neue Stromzähler. Alles recht seltsam.

Wir fuhren am Peipus See nach Süden. Auf dem Weg kamen wir an einem russisch-orthodoxen, noch bewohnten Kloster Kuremäe vorbei. Das war auch für Besucher geöffnet, aber auf Grund der Abendstunden und des leicht nieselnden Regens war keine Nonne zu sehen. Trotzdem war die Hauptkirche mit den fünf Kuppeln und der sie umgebende Hof imposant.

An der Straße am ganzen See entlang standen immer wieder kleine Hüttchen, die geräucherten Fisch anboten. Das ließen wir uns nicht entgehen und kauften uns eine Portion, zusammen mit einer Soße, die wir vorher noch probieren durften. Der Fisch war mit Pfefferkörnern bedeckt und total lecker. Er hat uns an Makrele erinnert.

Den Abschluss in Estland war der Besuch eines Aussichtsturms in Vogelnest-Optik und in einem Restaurant lokalen Käse und Schinken probieren. Die Esten sind, wie die Finnen, sehr saunaaffin. Allerdings haben nicht alle Saunen einen Kamin und so verbanden die Esten das Schöne mit dem Praktischen und räucherten Schinken beim Einheizen. Auf dem Weg passierten wir noch eine sehr hübsche Kapelle, die aber leider verschlossen war.

In Lettland haben wir uns Riga angeschaut. Ich wollte unbedingt in die Markthallen, denn diese waren früher Zeppelinhangare gewesen. Jede Halle bot eine andere Kategorie an Lebensmitteln: Fleisch, Käse und Backwaren, Fisch, Gemüse und viel Eingelegtes. Um die Hallen gab es aber auch jede Menge Stände und wir konnten uns die Blaubeeren für 4€/kg einfach nicht entgehen lassen. Auch Backwaren kauften wir ein, diese waren aber anders, als wir das erwartet hatten. Ein süßes Stück aus verdrehten Strängen lachte uns an und auch ein “Fladenbrot” wanderte in unseren Rucksack. Das süße Stückchen war allerdings ziemlich hart und das Fladenbrot bestand aus vielen einzelnen Filoteigblättchen und krümelte extrem.

Wir fanden einen wunderschönen Stellplatz im Wald, der an einem See lag. Einige Wanderer und fleißige Pilzsucher waren unterwegs, aber nachts hatten wir die Stille ganz für uns allein.

Dann gingen wir wieder kiten. In Engure hatten wir feinen weißen Sandstrand, nur auf ein paar Felsen mussten wir aufpassen. Es hatte recht viel Welle, war aber trotzdem eine gute Session. Am nächsten Tag gings gleich nochmal auf das Wasser, allerdings an der Spitze des Rigaischen Meerbusens.

Unser Weg führte uns noch an einem Schiffsfriedhof und großen, alten Satellitenschüsseln vorbei. Letztere leider nur aus der Ferne, denn wir wussten nicht, dass man dafür eine Tour buchen muss.

In Litauen waren wir nur ganz kurz. Unsere Lust, noch Dinge anzuschauen schwand und die Gedanken kreisten eher um unsere Rückkehr. Trotzdem schauten wir uns noch das Cold War Museum an. Es war in einer ehemaligen Raketenabschussbasis. Mit Audioguide, Austellung und den Räumlichkeiten bekamen wir doch einen ganz guten Einblick in die Geschichte des kalten Kriegs.

Da nochmal Wind angesagt war, beschlossen wir, in Polen doch nochmal zur Küste zu fahren. Wir machten einen Abendspaziergang durch das hübsche Danzig und gingen Pierogi essen.

Dann fuhren wir am oberen Ende der Danziger Bucht in ein Feld und verbrachten dort eine ruhige Nacht. Nächster Tag: Kiten. In der Danziger Bucht gibt es eine ziemlich geschichtsträchtige Landzunge mit wahnsinnig vielen Campingplätzen und einer ziemlich heftigen Tourismus-Infrastruktur. Dadurch konnten wir einen riesigen Surfshop aufsuchen, die aber leider unser gesuchtes Ersatzteil nicht da hatten. Die ganze Landzunge entlang war Stehrevier und es war auch einiges los. Feinstes Flachwasser, aber leider etwas wenig Wind erwarteten uns. Nach dem Landen vom Kite kam dann die erste schräge Situation mit einem polnischen Mann. Obwohl ich es verneinte, wollte er mir den Schirm aus der Hand nehmen und hinlegen - als ob ich das nicht selbst könnte. Aber das war nichts im Vergleich zum nächsten Tag.

Erst Mal gönnten wir uns noch ein Besuch in einem Spaßbad mit Sauna. Das hatte eine total verrückte Rutsche mit einem sich drehenden Teil. Einige Rutschen waren eher familienfreundlich und wurden auch mit einem Reifen, aber es gab auch die “Ultra Slide”, bei der man richtig schnell wurde. Wir ließen den Besuch in der Saunalandschaft ausklingen. Dort gab es echt einen hohen Männeranteil, aber ich fühlte mich trotzdem nicht unwohl. Das Highlight war ein Aufguss, der von zwei Damen gemacht wurde. Zu tanzbarer Musik wurden Handtücher gewirbelt und mit großen Fächern kam eine Hitzewelle nach der anderen über uns. Danach gings unter die Dusche und im kalten Becken abkühlen.

Der Wind war an der Nordküste nochmal stärker vorausgesagt, deswegen verschlug es uns nach Leba. Nach einer super stürmischen und regnerischen Nacht freuten wir uns über den Sonnenschein. Am See bei Leba war allerdings kein Kiter zu sehen, deswegen schauten wir uns den Spot am Meer an. Es gab richtig viel Welle und auch richtig viel Wind und keinen einzigen Kiter. Schon beim Aufbauen hatten wir einige Zuschauer. Ich schaffte es kaum, Höhe zu halten. Ich hatte gerade meinen Kite gedepowert, um am Strand von einer Mole wegzulaufen, da kam ein älterer Typ auf mich zu. Er sagte was auf polnisch und ich meinte, dass ich ihn nicht verstehe. Jedefalls dachte ich, dass er vielleicht etwas über den Sport wissen möchte oder so. Da greift mir der Typ in die Bar und zieht rechts. Mein Kite loopt, ich heb ein, zwei Meter vom Boden am und fliege einige Meter. Zum Glück kam ich nicht mit den Füßen voraus auf und mir ist auch weiter nichts passiert. Das hätte sehr leicht im Krankenhaus enden können. Für alle, die nicht kiten: Das ist wie jemandem beim Autofahren ins Lenkrad zu greifen und gefährdet nicht nur den Kiter, sondern auch alle darum herum. Jonas ist dann nochmal zu dem Typ hin, der sich auch entschuldigt hat. Es wirkte aber nicht so, als hätte er verstanden, wie gefährlich das eigentlich war. Soviel zu den polnischen Männern.

Nach dem Kitesurfen ging es für uns dann zurück nach Deutschland, wo wir gerade noch so eine Gruppe von befreundeten Kitesurfern trafen, die gerade in Norddeutschland waren. Nach einem Zwischenstopp in Berlin, wo wir uns ebenfalls mit Freunden trafen, steuerten wir dann wieder Karlsruhe an. Allerdings kam uns das Ungefährt noch einmal in die Quere. Auf der Autobahn ging uns ein Reifen kaputt. Zum Glück war zu der späten Stunde nicht so viel los und Jonas konnte sich auf den Standstreifen rollen lassen. Dann hieß es erst einmal wieder warten, bis der Abschleppdienst kam. Da wir auf Grund unseres sowieso schon ziemlich hohen Gewichts keinen Ersatzreifen mitgenommen hatten, ging es zu einem Reifenhändler. Der konnte uns nach einem halben Tag einen neuen Reifen besorgen und wir kamen müde, aber auch glücklich, wieder zu Hause zu sein, an.